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       Nach dem Gartenfest...

       Das Gartenfest vom gestrigen Abend ist erst zum Teil aufgeräumt. Sibille, die Hausfrau,
       lässt sich Zeit. In lockerer Kleidung und gut gelaunt trägt sie manchen Stuhl ins Haus.
       Die Girlanden lässt sie hängen. Sie erinnern an die frohe Stimmung vom Vorabend. An den
       Bäumen Ballone. Manche haben die Gäste gestern mit einem guten Wunsch in den Himmel 

       losgelassen. Die Gasflasche steht noch hinter einem Strauch. Sibille schleppt sie näher
       zum Haus. Aber unterwegs überfällt sie die kindliche Lust, noch mehr Ballone aufsteigen zu
       sehen. Sie füllt die noch herumliegenden mit Gas, bindet sie an einen Ast. Vier sind es. Gelb,
       grün, blau und orange.  Während sie sich überlegt, welche Wünsche sie zusätzlich zu den
       gestrigen noch aufsteigen lassen könnte, schweift ihr Blick über die verbliebenen Gartenstühle,
       die auch in verschiedenen Farben bemalt sind. Vermag ein Ballon einen Gartenstuhl zu tragen?
       So fragt sie sich plötzlich? Einen der leichten Plastik-Stühle, die den alten Eisen-Holz-Klappstühlen
       nachgemacht sind? - Nein, natürlich nicht. Sibille ist aber nicht in der Laune, das so einfach zu
       akzeptieren. Der Gwunder sticht sie. Sie holt den blauen Ballon und bindet ihn an die Lehne
       eines orangen Stuhls. Mit einem Knie beschwert sie die Sitzfläche. Für alle Fälle. Sie setzt sich
       dann seitwärts auf den Stuhl, berührt den Ballon mit beiden Händen. Sie erinnert sich, wie sie
       als kleines Kind alljährlich mit den Großeltern an die Chilbi durfte. Jedesmal bekam sie einen
       Ballon. Lange brauchte sie jeweils, bis sie wusste, welche Farbe sie auswählen wollte. Alle
       gefielen ihr.  Der Verkäufer - es waren meist Männer, weil ein großer Strauss Ballone schwer
       wog - band das Schnürchen um ihr Handgelenk. Sie achtete gut darauf, dass dem Ballon
       nichts passierte - dass er nirgends hängen blieb, nicht eingeklemmt wurde. Oft hielt Sibille den
       Ballon schützend zwischen beiden Händen. Zuhause bewegte er sich an der Decke ihres Zimmers.
       Dort blieb er jedoch nicht. Mit jedem Tag sank er ein wenig, bis er so weit unten war, dass sie ihn
       mit der einen Hand tätscheln konnte. Aber manchmal ließ Sibille den Ballon auch gleich nach dem
       Chilbibesuch fliegen. Sie schaute ihm nach, bis sie nur noch ein Tüpfelchen sah und dann sah sie ihn
       noch in ihrer Vorstellung weiterfliegen.

       Diesen Erinnerungen hängt Sibille jetzt auf ihrem Ballonstuhl sitzend im Garten nach. Ihre Vor-

       stellung? - Die ließ den Ballon doch weiter hinauf schweben. Was vermag die Vorstellungskraft
       denn sonst noch? - Gestern waren viele Ballone mit einem guten Wunsch weggeflogen. Und alle
       Absender des Festes stellten sich vor, ja waren sich ganz sicher, dass der Ballon mit Adresse und
       gutem Wunsch von jemandem gefunden werde. Und man hoffte, es sei jemand, der noch soviel
       kreative und feinfühlige Kindlichkeit in sich bewahrt habe, dass sie oder er sich am guten Wunsch
       freuen könne und vielleicht gar zurück schriebe. Eigentlich hat Sibille im Moment keinen Wunsch
       mehr. Alle hat sie gestern zum Himmel geschickt. Bis auf den einen, der sie jetzt bewegt: Der Ballon
       möge den Stuhl in die Höhe tragen. Eine verrückte Idee. Sie weiss es. Aber manchmal hat sie Lust
       auf eine rechte Portion Verrücktheit, Ferien vom Verstand. Und jetzt kommt diese Lust heftig über sie.
       Sie möchte den Stuhl am Ballon so gern nach oben schweben sehen und sie glaubt schon fast daran,
       dass es möglich ist. Sie lässt zu, dass sich ihre Vorstellung vom fliegenden Stuhl in ihr immer mehr
       verstärkt. Sie freut sich nicht nur an dieser Vorstellung, sondern auch daran, dass sie noch so kindlich
       empfinden kann. Sie, die Mutter von vier Halbwüchsigen. Sie steht auf, behält aber eine Hand auf
       dem Stuhl. Hatte man ihr nicht als Kind gesagt, wenn sie sich etwas ganz fest wünsche, ginge es in
       Erfüllung? - Sie wünscht sich ja nicht, dass der Stuhl in den Himmel fliegt, nur dass er eine Weile
       lustig über dem Haus schweben möge. Das aber wünscht sie sich jetzt ganz fest. Und sie fühlt sich so
       leicht bei dem Gedanken - als würde sie am liebsten mitfliegen! Doch nein, das muss nicht sein. Sie bleibt 

       gerne auf der Erde hier in ihrem Garten. Aber alle Vernunft für eine Weile loslassen. Alle  kindliche 
       Leichtigkeit des Herzens dem Stuhl mitgeben. Daran glauben, dass ihre Gedankenkraft stärker ist als 
       die irdische Schwerkraft.... Und nun lässt sie den Stuhl los und weiss, dass er fliegen wird. Und er hebt 
       sich tatsächlich! Ganz langsam erst und etwas unsicher. Doch dann gewinnt er sichtbar an Höhe. 
       Etwa zehn Meter über dem Hausdach bleibt er stehen. Wie sie es gewünscht hat. Zum Glück ist es 
       windstill. Sibille steht unbeweglich da und verzaubert schaut sie und staunt und staunt und fühlt sich 
       selig in ihrem Herzen und wie selber abgehoben.

       Aber irgendwann nimmt sie sich wieder wahr, wie sie in ihrem Garten steht.  Und sie bekommt Lust
       nach mehr. Einen Ballon nach dem andern bindet sie an einen Gartenstuhl. Den grünen an einen gelben
       Stuhl, den gelben an einen roten Stuhl. Für den orangen Ballon bleibt jetzt aber nur auch ein oranger Stuhl 

       übrig. So viel Harmonie betrübt Sibille fast ein wenig. Ist das nicht langweilig? Sie fühlt sich doch jetzt 
       so voller spritziger, kecker Lebensfreude! Aber dann sieht sie, wie die beiden Orangefarben nicht schmutzig 
       oder langweilig sind, sondern leuchtend und vor dem Blau des Himmels würden sie noch leuchtender. 
       Einen leuchtend-orangen Dankesgruss an die Sonne? - Gewiss: Es gibt passendere Formen eines 
       Dankesgrusses an die Sonne als ein Gartenstuhl an einem Ballon. Aber ist nicht alles irgendwie mit allem 
       verbunden und je mehr Wagnisse wir im Leben eingehen, umso tiefer erkennen wir diese Geheimnisse?
       - Und ist nicht gerade das Ungewohnte das, was uns weiterbringt, weitet und aus alten Gleisen führt? 
       - So überlegt und empfindet Sibille. Und nun schickt sie dankbar und fröhlich auch noch den vierten Stuhl 
       in die Höhe. Es dauert eine Weile, bis er oben bei den andern ist. Sie schaut ihm tief bewegt nach. 
       Als schließlich alle vier Stühle über dem Haus schweben, ist sie überwältigt von Freude. Sie steht einfach 
       da und staunt. Lange. Vier bunte Stühle von je einem Ballon gehalten am Himmel über ihrem Haus. 
       Sie kann es fast nicht glauben.

       Sibille hat keine Ahnung, wie lange sie so hier gestanden hat, als plötzlich zwei ihrer Kinder heimkommen. 

       Es ist Mittagszeit geworden. Sie hat versprochen, das Essen zu kochen wie immer an diesem Wochentag.  
       Aber heute ist nichts wie gewohnt. Das sehen dann auch die anderen Kinder und der Partner, als sie heim-
       kommen. Vier Stühle an bunten  Ballonen über ihrem Haus und Sibille in seligster Verzückung... Mutter 
       spinnt, wollen die pubertierenden Jugendlichen sagen, aber sie spüren, dass das nicht angebracht ist. 
       Sie werden selber still und staunen und auch der Vater lässt sich anstecken. Alle sechs haben sie eine Weile 
       so andächtig dagestanden, zum Ballon-Stuhl-Himmel hinaufgeschaut und das Unfassbare in sich auf-
       genommen. Da kommen aufgeregt die Nachbarn durch das Gartentor. Sie haben die Stühle über ihren 
       Häusern gesehen und wurden ängstlich und auch ein wenig wütend. Wenn die Ballone platzten, würden 
       die Stühle mit großer Wucht herunterfallen und könnten Menschen verletzen  oder gar erschlagen und 
       auch die Häuser beschädigen. Das sei doch gefährlich. Was sie denn da machten. Aber die stille, meditative 
       Stimmung fließt bald auch auf sie über. Die Nachbarn spüren, dass sich hier ein Geschehen in einer ganz 
       anderen Sphäre abspielt, in der es für solch irdischen Ängste keinen Platz hat. Und alle sehen sie jetzt, wie 
       sich die Stühle an den Ballonen ganz, ganz langsam aber merklich senken. Ein unerklärliches und bewegendes 
       Geschehen. Etwas, das wie von weit her berührt und alle Fragen zulässt. 

       Still und ohne Mittagessen gehen schließlich alle wieder ihres Weges und wundern sich, wie tief sie an diesem 

       Mittag zu sich selber gekommen sind. Sibille wartet, bis auch der letzte Stuhl wieder im Garten steht. Dann 
       umarmt sie die Ballone und Stühle einzeln. Und schließlich mit einem tiefen Seufzer sich selbst. 
       Sie weiß jetzt, was sie vermag.

                                                                                                                                                                                                    Esther Bauhofer